Freitag, 4. Oktober 2019

good night

Die düstere Novembernacht war kalt. Der Bürgersteig und die Straße waren nass, da es den ganzen Tag geregnet hatte. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass die Tropfen jetzt nachließen.
Sie aber sehnte sich nach langen Spaziergängen im Sommer oder nachts auf dem Balkon zu sitzen, ohne zu frösteln. Nun sah das jedoch anders aus.
Ihr rotes Abendkleid war zwar bodenlang, hielt die Kälte aber nicht
ab an ihren Beinen hochzukriechen. Das dünne Westchen über den Schultern und den Armen half nicht viel und die kleine Kette auf ihrem Dekolleté schon gar nicht. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den Anderen. Vielleicht waren die schwarzen hohen Schuhe doch nicht die beste Idee gewesen, zumal sie vorher erst einmal High Heels trug und das im Schuhgeschäft. Aber sie würde das schon hinbekommen.
Die schwarze Handtasche umarmend und das dunkle Jäckchen enger ziehend, lief sie weiter. Der Mond schien auf sie herab und beobachtete jeden Schritt von ihr. In dieser Nacht waren viel mehr Sterne zu sehen als sonst. Sie liebte den sternenklaren Nachthimmel, doch heute hatte sie kein Auge dafür. Sie war zu aufgeregt, zu nervös. Was war, wenn sie sich total blamierte, der Absatz abbrach oder das Kleid total overdressed war? Was war, wenn...
Sie hörte hinter sich ein Geräusch.
Ein Rasseln.
Das waren eindeutig Blätter, die sich da bewegten. Also höchstwahrscheinlich nur ein Vogel oder ein Hase oder ein Igel, der durchs Unterholz huschte. Da der Wald genau neben ihr lag, keine Überraschung. Als Kind hatte sie immer hier gespielt, nur durfte sie nicht zu weit den Wald hinein. Verständlich, denn abends war der Wald in einer gefährlichen Dunkelheit wirklich kein Platz für ein kleines Kind. Doch heute war sie größer, fast schon erwachsen. Und die Hauptstraße entlang würde der Weg doppelt so lang dauern. Der Wald war zwar nicht gepflastert, aber die Wege eben und nicht wirklich dreckig. Erde halt, aber mehr auch nicht. Feuchte Erde, aber sie wollte nicht zu spät erscheinen. Sie zog ihr Handy aus der Tasche hervor. Die Zeit für den Weg an der Hauptstraße entlang war eingeplant, aber wenn sie früher käme, konnte sie sich nochmal frisch machen und sich vor allem schneller Aufwärmen. Ohne lange zu Zögern steckte sie das Handy wieder weg und bog in den Wald ein – nur um es direkt wieder herauszuholen, denn sie sah rein gar nichts.
Die Bäume wiegten sich bedrohlich über sie und das Blätterdach von ihnen verbarg den leuchtenden Nachthimmel. Auch der Mond hatte sie aus den Augen verloren. Der Lichtkegel bewegte sich ruckartig über die Stämme und Pflanzen, so zitterte sie.
Vor Kälte.
Bestimmt vor Kälte.
Vielleicht sollte sie Musik anmachen. Mit Musik fühlte sich alles immer viel besser an. Sie tippte auf ihr Handy, sah nicht wo sie hintrat und verfehlte eine Wurzel nur um Haaresbreite. Durch die Lautsprecher ihres Handys lief „Count on me“ und eine wohlige Wärme breitete sich in ihr aus. Die Kälte umarmte sie von außen dennoch weiter.
Sie ging weiter. Die Umgebung war nun durch Bruno Mars´ Stimme weniger angsteinflößend, aber immer noch sehr dunkel, so dass sie nur den Teil des Waldes sah, der von ihrer Handylampe beleuchtet wurde.
Ein Knacken hinter ihr. Jemand oder etwas war auf einen Ast getreten, der durchbrach. Feine Nackenhärchen stellten sich bei ihr auf und ihre Augen wurden weit. Was war da?
Egal, einfach weiterlaufen.
Nicht umdrehen, war wahrscheinlich nur ein Fuchs oder Dachs oder sonst irgendein nachtaktives Tier, welches gerne mal durch den Wald stromert.
Bruno Mars sang weiter und sie beruhigte sich einigermaßen. Etwas hektischer setzte sie weiter einen Fuß vor den anderen, als sie wieder ein Knacken hörte.
Näher.
Viel Näher.
Etwas verfolgte sie.
Voller Schreck schrie sie auf und sprang zur Seite, knickte dabei um und ihr Fuß flog aus dem Schuh. Sie konnte sich gerade noch so fangen, sonst wäre sie in einer Pfütze gelandet.
Zitternd leuchtete sie mir ihrem Handy auf die Stelle, wo sie das Geräusch und den Täter vermutete. Doch sie sah nichts.
Überhaupt nichts. Sie war allein.
Abgesehen von den vielen Waldtieren und noch mehr Insekten natürlich. Aber hier war niemand.
Mit festem Griff umklammerte sie ihre Tasche, zog sich wieder ihren Schuh an und atmete tief durch. Wieso tat sie sich das eigentlich alles an? Warum war sie nicht den einfachen Weg gegangen? Weshalb musste sie immer alles so kompliziert machen?
Doch jetzt war keine Zeit für dumme Fragen. Sie musste weiter, und zwar sofort. Es war sowieso nicht mehr weit, dann konnte sie den Wald hinter sich lassen und sich endlich amüsieren. Mit einem kleinen Lächeln und einem neuen Lied in den Ohren ging sie weiter.
Sie sah nicht, wie hinter ihr auch gelächelt wurde, als sich eine Hand auf ihren Mund legte und sie ins Gestrüpp zog.



verfasst irgendwann

xxx

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