Ich hab‘s
geschafft, oh dear. Nein, wirklich, I did it. Ich liege in meinem Bett. Ich
dachte this moment würde nie happen.
3:01
Sprich
Deutsch, verdammt, wir leben hier in Darmstadt, Hessen, Deutschland.
Aber
englische Worte hören sich einfach so weiterentwickelt, weltoffen an. Besser
halt. Punkt. Plus, ich besuche seit Regelzeitjahren eine Sprachenschule, also
darf ich das.
Aber hey, in
reality muss ich mich jetzt überhaupt nicht rechtfertigen. Nicht vor mir. Alle
Menschen, denen ich diese Rechtfertigungen an den Kopf werfen könnte, sind in
this moment nicht da. Also muss ich nicht. Jetzt mal nicht.
3:04
In letzter
Zeit ist mir ziemlich alles egal. Ziemlich vieles.
Vielleicht
zu vieles, vielleicht aber auch immer noch zu wenig.
Aber selbst
in den beiden Zuständen muss ich keine Gründe darlegen, beweisen oder
erläutern, warum ich so bin, wie ich bin oder warum ich das tue, was ich tue. Muss
ich nicht. Ich bin ein freier Mensch, der das machen kann, was er will. Und
wenn mir alles, naja, vieles, naja weniges, naja, egal ist, dann ist das
vollkommen in Ordnung.
3:07
Bin ich
betrunken? Definitiv.
Spüre ich
meine Beine noch? Mäßig. Liege eingekuschelt in meiner schwarzen Decke auf der
gestern Mittag bezogenen Matratze.
Brummt mein Kopf?
Ja. Obwohl er sanft auf dem Kopfkissen liegt.
Muss ich
mich übergeben? Nicht ausgeschlossen. Eimer steht neben meinem Bett.
Habe ich zu
viele Cocktails in mich gegossen? Jup. Schon. Leider.
Das Bett
schaukelt, obwohl ich gar nicht auf See fahre. Das Meer lässt es hoch und
runter, nach links und rechts fallen, obwohl ich doch gar keine Piratin bin.
3:12
Candy Crush
crusht mich, indem es mir anzeigt, dass ich 28 Minuten und 19 Sekunden auf ein
neues Leben warten muss. Dabei möchte ich nur dieses eine schwere, nicht einmal
superschwere Level schaffen und dann beruhigt schlafen. Ein Mensch muss sich
Ziele setzen.
So langsam
habe ich mein Bett unter Kontrolle, das Meer unter ihm tobt zwar immer noch,
aber die Piratin in mir schafft es, den Boden zu ihren Füßen einigermaßen zu
beruhigen. Neue Jobmöglichkeit? Wäre auf jeden Fall etwas neues, ganz anders,
als die Vorschläge des Fähigkeitendingsbums, was wir mal in der Schule machen
mussten.
Meine Augen
rollen, als ich das Handy zur Seite lege. Was ich soll ich denn jetzt noch 28
Minuten und neun, acht, sieben, sechs Sekunden lang tun?
3:14
Gott, die
Schule. Nur noch ein halbes Jahr prägt sie mein Leben. Nur noch so wenig Zeit,
die ich damit verschwenden werde, alles Gelernte noch einmal vollständig in
mein Gehirn einzubrennen, damit am Ende angemessene Punktzahlen auf meinem
Abschlusszeugnis stehen.
Anstatt die
Momente zu genießen, in denen ich noch weiß, wann ich aufstehen muss, wie mein
Tagesablauf aussehen wird und in denen ich mich an Stundenplänen und Hausaufgaben
festhalten kann.
3:14
Ich starre
an die dunkelen Latten meiner Zimmerdecke. Dort hängt eine ausgeschaltete
Glühbirne, deren Sternrahmen schwarz bemalt ist. Bis zu meinem zwölften
Lebensjahr war das Holz um die Lampe herum bunt, jede Ecke des Sterns in einer
anderen Farbe des Regenbogens gestrichen. Und nein, ich durchdrang damals keine
Emophase, schwarz passt einfach zu meiner Natur, die mit zwölf und einem Tag
einsetzte. Kann man Natur einsetzen oder nur ersetzen?
3:15
Wenn ich
keine Ahnung habe, was ich tun, machen oder besser lassen soll, schaue ich nach
oben. Am liebsten in den Sternenhimmel. Leider sind mir auf dem Heimweg – ein
sehr langer, dieses Mal - keine weitentfernten Lichtquellen aufgefallen, nur Straßenlaternen,
die meinen Weg nach Hause erleuchtet haben. Bis auf eine, die hatte sich über
mich, einen Menschen zu so später Stunde, anscheinend so erschreckt, dass sie
einfach erlosch, als ich an ihr vorbeigehen wollte. Zwanzig Meter musste ich in
völliger Dunkelheit zurücklegen, was da nicht alles passiert hätte können,
werden müssen, folgerichtig geschehen sollen.
Ich höre
schon die Stimme meiner Eltern in meinem Kopf, so langsam ist es nicht mehr
lustig, Alkohol.
3:17
Ich muss
nicht nach rechts blicken, um zu wissen, dass auf dem schwarz-roten Teppich
neben meinem 1,60 Meter breiten Bett drei angebrochene Wasserflaschen stehen.
Warum ich nur die obere Hälfte aus den Glasflaschen trinke, bleibt meiner
Familie ein Rätsel. Aber ich habe morgens die Befürchtung, abends nicht genug
Wasser trinken zu können. Nachmittags hole ich eine neue Glasflasche aus dem
Keller hoch, zwar sehe ich, dass vor meinem Bett noch eine Angebrochene steht,
aber die Mühe unnötig werden zu lassen und die Flasche wieder zurück in den
Keller zu tragen, ist doch total bescheuert. Also lasse ich sie vorm Bett
stehen und schließlich greift meine Hand nachts blind in der Dunkelheit nach Wasser
und da ist es ihr definitiv egal, ob sich dieses Wasser in einer erst-, zweit-
oder drittverwendeten Flasche befindet. Ein Teufelskreis. Aber mein trockender Mund
erfreut sich an der Nässe und somit erfüllt das Wasser jedes Mal den
vorgesehenen Zweck.
3:21
Was ist mein
Zweck?
Ja, ich
weiß, das ist eine altbekannte Frage und ich schäme mich auch ganz doll dafür,
dass ich dieses Thema anreiße, aber egal jetzt. Mit Rechtfertigungen wollte ich
ja gar nicht erst anfangen.
Was ist mein
Zweck, meine Bestimmung, mein Nutzen? Ich wette, mir fallen mir noch ein paar
Synonyme mehr ein, die doch nicht alle das gleiche aussagen.
Ehrlich gesagt,
habe ich keine Ahnung, keinen blassen Schimmer, I just don’t know.
Also doch,
irgendwie schon, gute Bildung nutzen, guten Job erlangen, gute Kinder bekommen,
diese gut erziehen, gut alt werden und gut sterben. Mein Weg ist
vorgeschrieben, in meinem Kopf durchdacht, aber manchmal frage ich mich, was
mein Zweck ist, wenn ich nicht diesem gut-gut-gut-Plan folge. Wenn ich vom Kurs
abweiche.
3:29
Ohne
hinzusehen, weiß ich, dass zu meiner Linken Taschentücher liegen. Eine Packung,
halb geöffnet, es müssten noch um die drei oder vier in ihr enthalten sein.
3:36
Aber ich
habe nicht den Mut dazu. Ich weiß jetzt schon, dass ich den Absprung verpasse,
ich zu sein. Zu sehr von anderen leiten, verleiten, verformen, verändern lasse.
Die Fähigkeit mich zu definieren ist die Aufgabe meines Umfeld. Es macht mich
zu dem, was ich bin – ein guter Mensch.
Sodass ich
gar nicht anders kann, niemand anders werden kann. Was wäre denn das Gegenteil
von gut? Was wäre ich, wenn ich nicht derjenige bin, der ich jetzt bin? Wenn
ich meinen Zielen, Wünschen, Ansichten folge, und was sind meine Ansichten,
Wünsche, Ziele?
3:40
Also
wirklich, ziemlich oft würde ich mich am liebsten von mir selbst abstoßen. Einfach
mal eine kurze Auszeit nehmen. Denn mal ganz ehrlich:
Ich liege
hier in meinem warmen Kuschelbett, Bilder hängen an den Wänden, ein
Schreibtisch, ein Sitzsack stehen in meinem Zimmer, alles sogar einigermaßen
farblich passend eingerichtet. Ich weiß, dass meine Eltern drüben friedlich
schlummern, morgen zur Arbeit gehen, um Geld zu verdienen, Essen kaufen, mich
lieben.
Ich
wertschätze das und doch irgendwie nicht das, was daraus resultiert. Dieses
Leben. Meins.
Denn
verdammt nochmal, ich liege hier in einer gemütlichen Jogginghose und trage
einen Pullover mit der Aufschrift „Don’t let the muggles bring you down“. Aber
genau das lasse ich zu, denn ich bin nun mal ein Muggle.
Ich weiß,
ich will fliegen, kreischen, Schluckauf haben, küssen, feiern, toben, tanzen,
Tränen fließen lassen, aber Freundentränen, lauthals lachen, erkennen,
akzeptieren, kämpfen, lieben.
Aber
gleichzeitig fühle ich mich bodenlos, während
11, 9 und 7 Punkte mich auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Ich
brauche diesen einen NC, um an der Universität genommen zu werden, die ich nach
dem Abitur direkt besuchen möchte. Um gut zu sein.
Und ich
nenne mich vogelfrei, während ich beim ersten Regen schon wieder in mein
Elternhaus zurückflattere. Die Tropfen sind so hart, sie zerkratzen meine
Federn, Mama, Papa, Hilfe.
Und ich
möchte endlich unabhängig mein Leben in freier Wildbahn erleben, doch vergesse,
dass ich Leben nicht erleben, sondern leben muss. Und freie Wildbahn, dass ich
nicht lache, hoffentlich finde ich in meinen Träumen noch ein Fleckchen
unberührte, wilde Natur. In der ich dann fröhlich, glücklich mein Leben erleben
oder leben oder was weiß ich kann.
Denn Großstädte,
Bildungsballungsgebiete mit überteuerten Wohnungsmieten, Abgasluftgetöse und
schreiende Menschenstimmen, die von A nach B wuseln, sind nicht das Abenteuer
das ich mir vorstelle, aber im selben Moment anstrebe.
Ich will ich
sein, aber bin doch nur gut. In dem Sinne, in dem mir gut antrainiert wurde.
Und in Wirklichkeit muss ich gar nicht so tun, als ob ich das alles will, ich
will es ja doch nicht, denn meine Ansichten, Wünsche, Ziele werde ich doch
nicht verfolgen, wenn sie nicht dem gut entsprechen, dass ich zu erfüllen
versuche, während ich es gleichzeitig ablehne.
Ergibt das
irgendeinen Sinn?
4:57
Ich schreie,
als ich falle. Tief und tiefer in den leeren Raum hinein, er zieht, er saugt, er
verschlingt mich. Ich schreie, weil ich nicht weiß, wohin es geht und ob ich je
wieder sehen, erkennen kann. Also was ich will, was ich mache, was ich mich
machen lasse und ob ich mich überhaupt verstehe, ob mich irgendjemand anderes
versteht und ich schreie immer noch und wache irgendwann auf. Kein Aufprall.
Kein Boden. Nur die Dunkelheit starrt mir entgegen.
verfasst Januar 2019
xxx
verfasst Januar 2019
xxx
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