Donnerstag, 3. Oktober 2019

3am thoughts in pieces

2:59
Ich hab‘s geschafft, oh dear. Nein, wirklich, I did it. Ich liege in meinem Bett. Ich dachte this moment würde nie happen.

3:01
Sprich Deutsch, verdammt, wir leben hier in Darmstadt, Hessen, Deutschland.
Aber englische Worte hören sich einfach so weiterentwickelt, weltoffen an. Besser halt. Punkt. Plus, ich besuche seit Regelzeitjahren eine Sprachenschule, also darf ich das.
Aber hey, in reality muss ich mich jetzt überhaupt nicht rechtfertigen. Nicht vor mir. Alle Menschen, denen ich diese Rechtfertigungen an den Kopf werfen könnte, sind in this moment nicht da. Also muss ich nicht. Jetzt mal nicht.

3:04
In letzter Zeit ist mir ziemlich alles egal. Ziemlich vieles.
Vielleicht zu vieles, vielleicht aber auch immer noch zu wenig.
Aber selbst in den beiden Zuständen muss ich keine Gründe darlegen, beweisen oder erläutern, warum ich so bin, wie ich bin oder warum ich das tue, was ich tue. Muss ich nicht. Ich bin ein freier Mensch, der das machen kann, was er will. Und wenn mir alles, naja, vieles, naja weniges, naja, egal ist, dann ist das vollkommen in Ordnung.

3:07
Bin ich betrunken? Definitiv.
Spüre ich meine Beine noch? Mäßig. Liege eingekuschelt in meiner schwarzen Decke auf der gestern Mittag bezogenen Matratze.
Brummt mein Kopf? Ja. Obwohl er sanft auf dem Kopfkissen liegt.
Muss ich mich übergeben? Nicht ausgeschlossen. Eimer steht neben meinem Bett.
Habe ich zu viele Cocktails in mich gegossen? Jup. Schon. Leider.
Das Bett schaukelt, obwohl ich gar nicht auf See fahre. Das Meer lässt es hoch und runter, nach links und rechts fallen, obwohl ich doch gar keine Piratin bin.

3:12
Candy Crush crusht mich, indem es mir anzeigt, dass ich 28 Minuten und 19 Sekunden auf ein neues Leben warten muss. Dabei möchte ich nur dieses eine schwere, nicht einmal superschwere Level schaffen und dann beruhigt schlafen. Ein Mensch muss sich Ziele setzen.
So langsam habe ich mein Bett unter Kontrolle, das Meer unter ihm tobt zwar immer noch, aber die Piratin in mir schafft es, den Boden zu ihren Füßen einigermaßen zu beruhigen. Neue Jobmöglichkeit? Wäre auf jeden Fall etwas neues, ganz anders, als die Vorschläge des Fähigkeitendingsbums, was wir mal in der Schule machen mussten.
Meine Augen rollen, als ich das Handy zur Seite lege. Was ich soll ich denn jetzt noch 28 Minuten und neun, acht, sieben, sechs Sekunden lang tun?

3:14
Gott, die Schule. Nur noch ein halbes Jahr prägt sie mein Leben. Nur noch so wenig Zeit, die ich damit verschwenden werde, alles Gelernte noch einmal vollständig in mein Gehirn einzubrennen, damit am Ende angemessene Punktzahlen auf meinem Abschlusszeugnis stehen.
Anstatt die Momente zu genießen, in denen ich noch weiß, wann ich aufstehen muss, wie mein Tagesablauf aussehen wird und in denen ich mich an Stundenplänen und Hausaufgaben festhalten kann.

3:14
Ich starre an die dunkelen Latten meiner Zimmerdecke. Dort hängt eine ausgeschaltete Glühbirne, deren Sternrahmen schwarz bemalt ist. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr war das Holz um die Lampe herum bunt, jede Ecke des Sterns in einer anderen Farbe des Regenbogens gestrichen. Und nein, ich durchdrang damals keine Emophase, schwarz passt einfach zu meiner Natur, die mit zwölf und einem Tag einsetzte. Kann man Natur einsetzen oder nur ersetzen?

3:15
Wenn ich keine Ahnung habe, was ich tun, machen oder besser lassen soll, schaue ich nach oben. Am liebsten in den Sternenhimmel. Leider sind mir auf dem Heimweg – ein sehr langer, dieses Mal - keine weitentfernten Lichtquellen aufgefallen, nur Straßenlaternen, die meinen Weg nach Hause erleuchtet haben. Bis auf eine, die hatte sich über mich, einen Menschen zu so später Stunde, anscheinend so erschreckt, dass sie einfach erlosch, als ich an ihr vorbeigehen wollte. Zwanzig Meter musste ich in völliger Dunkelheit zurücklegen, was da nicht alles passiert hätte können, werden müssen, folgerichtig geschehen sollen.
Ich höre schon die Stimme meiner Eltern in meinem Kopf, so langsam ist es nicht mehr lustig, Alkohol.

3:17
Ich muss nicht nach rechts blicken, um zu wissen, dass auf dem schwarz-roten Teppich neben meinem 1,60 Meter breiten Bett drei angebrochene Wasserflaschen stehen. Warum ich nur die obere Hälfte aus den Glasflaschen trinke, bleibt meiner Familie ein Rätsel. Aber ich habe morgens die Befürchtung, abends nicht genug Wasser trinken zu können. Nachmittags hole ich eine neue Glasflasche aus dem Keller hoch, zwar sehe ich, dass vor meinem Bett noch eine Angebrochene steht, aber die Mühe unnötig werden zu lassen und die Flasche wieder zurück in den Keller zu tragen, ist doch total bescheuert. Also lasse ich sie vorm Bett stehen und schließlich greift meine Hand nachts blind in der Dunkelheit nach Wasser und da ist es ihr definitiv egal, ob sich dieses Wasser in einer erst-, zweit- oder drittverwendeten Flasche befindet. Ein Teufelskreis. Aber mein trockender Mund erfreut sich an der Nässe und somit erfüllt das Wasser jedes Mal den vorgesehenen Zweck.

3:21
Was ist mein Zweck?
Ja, ich weiß, das ist eine altbekannte Frage und ich schäme mich auch ganz doll dafür, dass ich dieses Thema anreiße, aber egal jetzt. Mit Rechtfertigungen wollte ich ja gar nicht erst anfangen.
Was ist mein Zweck, meine Bestimmung, mein Nutzen? Ich wette, mir fallen mir noch ein paar Synonyme mehr ein, die doch nicht alle das gleiche aussagen.
Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, keinen blassen Schimmer, I just don’t know.
Also doch, irgendwie schon, gute Bildung nutzen, guten Job erlangen, gute Kinder bekommen, diese gut erziehen, gut alt werden und gut sterben. Mein Weg ist vorgeschrieben, in meinem Kopf durchdacht, aber manchmal frage ich mich, was mein Zweck ist, wenn ich nicht diesem gut-gut-gut-Plan folge. Wenn ich vom Kurs abweiche.

3:29
Ohne hinzusehen, weiß ich, dass zu meiner Linken Taschentücher liegen. Eine Packung, halb geöffnet, es müssten noch um die drei oder vier in ihr enthalten sein.

3:36
Aber ich habe nicht den Mut dazu. Ich weiß jetzt schon, dass ich den Absprung verpasse, ich zu sein. Zu sehr von anderen leiten, verleiten, verformen, verändern lasse. Die Fähigkeit mich zu definieren ist die Aufgabe meines Umfeld. Es macht mich zu dem, was ich bin – ein guter Mensch.
Sodass ich gar nicht anders kann, niemand anders werden kann. Was wäre denn das Gegenteil von gut? Was wäre ich, wenn ich nicht derjenige bin, der ich jetzt bin? Wenn ich meinen Zielen, Wünschen, Ansichten folge, und was sind meine Ansichten, Wünsche, Ziele?

3:40
Also wirklich, ziemlich oft würde ich mich am liebsten von mir selbst abstoßen. Einfach mal eine kurze Auszeit nehmen. Denn mal ganz ehrlich:
Ich liege hier in meinem warmen Kuschelbett, Bilder hängen an den Wänden, ein Schreibtisch, ein Sitzsack stehen in meinem Zimmer, alles sogar einigermaßen farblich passend eingerichtet. Ich weiß, dass meine Eltern drüben friedlich schlummern, morgen zur Arbeit gehen, um Geld zu verdienen, Essen kaufen, mich lieben.
Ich wertschätze das und doch irgendwie nicht das, was daraus resultiert. Dieses Leben. Meins.
Denn verdammt nochmal, ich liege hier in einer gemütlichen Jogginghose und trage einen Pullover mit der Aufschrift „Don’t let the muggles bring you down“. Aber genau das lasse ich zu, denn ich bin nun mal ein Muggle.
Ich weiß, ich will fliegen, kreischen, Schluckauf haben, küssen, feiern, toben, tanzen, Tränen fließen lassen, aber Freundentränen, lauthals lachen, erkennen, akzeptieren, kämpfen, lieben.
Aber gleichzeitig fühle ich mich bodenlos, während  11, 9 und 7 Punkte mich auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Ich brauche diesen einen NC, um an der Universität genommen zu werden, die ich nach dem Abitur direkt besuchen möchte. Um gut zu sein.
Und ich nenne mich vogelfrei, während ich beim ersten Regen schon wieder in mein Elternhaus zurückflattere. Die Tropfen sind so hart, sie zerkratzen meine Federn, Mama, Papa, Hilfe.
Und ich möchte endlich unabhängig mein Leben in freier Wildbahn erleben, doch vergesse, dass ich Leben nicht erleben, sondern leben muss. Und freie Wildbahn, dass ich nicht lache, hoffentlich finde ich in meinen Träumen noch ein Fleckchen unberührte, wilde Natur. In der ich dann fröhlich, glücklich mein Leben erleben oder leben oder was weiß ich kann.
Denn Großstädte, Bildungsballungsgebiete mit überteuerten Wohnungsmieten, Abgasluftgetöse und schreiende Menschenstimmen, die von A nach B wuseln, sind nicht das Abenteuer das ich mir vorstelle, aber im selben Moment anstrebe.
Ich will ich sein, aber bin doch nur gut. In dem Sinne, in dem mir gut antrainiert wurde. Und in Wirklichkeit muss ich gar nicht so tun, als ob ich das alles will, ich will es ja doch nicht, denn meine Ansichten, Wünsche, Ziele werde ich doch nicht verfolgen, wenn sie nicht dem gut entsprechen, dass ich zu erfüllen versuche, während ich es gleichzeitig ablehne.
Ergibt das irgendeinen Sinn?

4:57
Ich schreie, als ich falle. Tief und tiefer in den leeren Raum hinein, er zieht, er saugt, er verschlingt mich. Ich schreie, weil ich nicht weiß, wohin es geht und ob ich je wieder sehen, erkennen kann. Also was ich will, was ich mache, was ich mich machen lasse und ob ich mich überhaupt verstehe, ob mich irgendjemand anderes versteht und ich schreie immer noch und wache irgendwann auf. Kein Aufprall. Kein Boden. Nur die Dunkelheit starrt mir entgegen. 



verfasst Januar 2019

xxx

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