Donnerstag, 26. Dezember 2019

Traurigkeit

Es gibt viele Wege, zu zeigen, dass ich traurig bin.
Ich verstehe und sehe sie selbst nicht alle. Weil auch ich blind bin. Nicht bemerke, wenn es mir nicht gut geht, obwohl doch ich es bin, die diese negativen Gefühle fühlt. Und die Einzige, die diese dann auch daran ändern kann.
Aber lieber schiebe ich die Schuld anderen zu. Bepacke Mitmenschen mit Säcken voll Schuldsand und jage sie durch die Straßen. In meinen Vorstellungen, in meiner Feigheit, sind es meine Mitmenschen, die alle Probleme produzieren. Am laufenden Band.
Doch tief hinter der verschlossenen Tür meines Verstandes weiß ich ganz genau, dass ich nicht nur Probleme entstehen lasse, sondern ihnen auch noch Wasser zum wachsen gebe. Hübsch wachsen sie heran, in meinem kleinen Kopf, schlagen ihre Wurzeln und sind so robust gegen Unkraut, dass sich dieses kaum heranwagt. Die Pflanzenprobleme bleiben so lange, bis andere Pflanzen sie verdecken oder das Unkraut sich doch durchgesetzt hat und sie versteckt, sodass sie immer noch da sind, aber ummandelt mit einem weichen Meer aus unnötigem Schnick Schnack. Zu sehen sind sie nicht, vielleicht in Vergessenheit geraten, trotzdem noch da.
Blumen zu pflücken ist eine blöde Sache. Es dauert nur Momente, da fangen sie schon an zu welken, bis sie nach einem Tag in den Müll landen können. Stehen sie jedoch lange auf der Wiese, halten sie ihr Köpfchen in die Sonne und wachsen und gedeihen und leben. Ich behalte mir meine Probleme bei.
Die Blumen zu pflücken ist anstrengend, deswegen möchte ich nicht darüber reden. Ich zeige lieber, wenn ich traurig bin.
Ich senke meinen Blick. Ich spiele mit meinen Haaren. Ich kneife in meinen Arm. Ich schneide mich. Ich knabber an meinen Fingernägeln. Ich sage, ich hätte keinen Hunger. Ich habe keinen Hunger. Ich weine. Ich umarme lange. Ich lächle. Ich berühre die Hände von jemandem. Ich bleibe stumm. Ich drehe mich weg. Ich werde laut. Ich schreie. Ich haue, kratze, beiße. Ich wiege mich. Ich kotze. Ich sehe mich im Spiegel an, ich sehe an meinem Körper herunter. Ich streite.  Ich esse. Ich trinke Alkohol. Viel Alkohol. Ich rauche Gras. Ich habe Sex. Ich liege alleine wach. Ich umarme meinen Körper. Ich vergrabe mich im Bett. Ich weine.
Es gibt viele Wege, zu zeigen, dass ich traurig bin. Nicht immer sichtbar, nicht mal für mich.



verfasst am 22.08.2019

xxx, karina

ps: inspiration für einen wettbewerbstext

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