Freitag, 13. Dezember 2019

nur ein augenblick

Er lächelt mich an, während ich meinen Kaffee verschütte. Die Flüssigkeit läuft zur Tischkante  und tropft langsam auf sein Bein. Scheiße. Alles ruiniert.
Warum muss ich mir in diesen Café mein Getränk auch selbst einschenken? Warum hat er diesen Platz für ein erstes Date ausgesucht? Wollte er mich testen? Ob ich so eigenständig bin, dass ich mir Kaffee einschütten kann? Anscheinend nicht.

Sieht er jetzt, dass ich die Falsche bin? Das war es, nicht einmal Kaffee kann sie einschenken, denkt er sich. Gleich hebt er sein Handy hoch und tut so, als ob er einen ganz wichtigen Anruf hat. Obwohl es gar nicht klingeln werden wird.
Hoffentlich begleicht er noch die Rechnung, denn meine zehn Euro sind zu wenig für meinen Schokomuffin und sein Stück Blaubeertorte. Mit extra Streuseln. Die darf er ruhig selbst bezahlen. Und dann noch der Chai Latte. Als ob dieses Getränk gesünder wäre, ganz im Gegenteil, ich bekomme davon Magenschmerzen. Aber guter, alter Kaffee, das ist meins. Nur leider nicht, wenn er exklusiv frisch gemahlen in dieser komische Kanne serviert wird, aus der man sich einschenken muss. Wenn ich in ein Café gehe, erwarte ich, dass ich bei jemanden meinen Americano bestellen kann und er mir dann in einer Tasse gebracht wird. Ende.
Während ich mich zum Narren mache, nimmt ein Fahrradfahrer auf der Straße vor unserem Café einem Bus die Vorfahrt. Weitere Straßen weiter hat eine Frau ein Vorstellungsgespräch, bei dem sie schmierig von ihrer möglichen neuen Chefin angebaggert wird.
Im Nachbarort weint eine Siebtklässerin vor ihrem Klassenraum, weil sie in der Klassenarbeit bei ihrer Freundin abgeschaut hat und jetzt eine sechs kassiert hat. In nebenstehenden Haus haut eine dreizigjährige Autorin frustriert auf die Tasten ihres Laptops, weil sie keine Ahnung hat, was sie schreiben soll und ihr Abgabetermin vom Verlag morgen um acht Uhr ist.
Einige Kilometer weiter rast ein Geisterfahrer in einen LKW und beide Fahrzeuge gehen in Flammen auf. An der holländischen Grenze werden vier Insassen eines PKWs festgenommen, weil sie Drogen in ihrem Auto haben.
An der Küste von Portugal strandet ein Wal. In Maltas Hafen rennen 50 Flüchtlinge durch die letzten Meter auf das Festland zu. Ca. 9500km weiter südlich versucht ein afrikanisches Kind mit zwei Steinen Feuer zu machen. Im Atlantik ist der Tod eines Lachs vorherbestimmt, da ein Delfin ihn in seinem Maul hat.
In New York bekommt ein Kellner seine Kündigung vorgelegt, weil er während seiner Arbeitszeit zu viel am Handy ist.
Im weißen Haus unterschreibt der Präsident den Vertrag zum Bau der Mauer zu Mexiko. In Mexiko versucht eine Mutter verzweifelt ihr schreiendes Kind zu beruhigen. In den Favelas in Brasilien liefern sich zwei verfeindete Banden einen Schusswechsel mit mehreren unbeteiligten Verletzten.

Ich sitze ihm gegenüber und sehe sein Lächeln, während ich den Kaffee verschütte. Warte darauf, dass er geht.
Er steht auf, holt eine Serviette und reicht sie mir. Und bleibt.



verfasst August 2019

xxx, karina

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