Samstag, 2. November 2019

Asphaltgefühle - Teil 2

Es wird sich nichts ändern, zumindest nichts Gravierendes, jedenfalls nichts Weltbewegendes. Auch wenn das mein Wunsch ist, es soll sich alles umwandeln und dann als etwas Neues, Besseres in mein Leben treten. Mich überraschen. Tata. 
So langsam fangen meine Füße an wehzutun. Ich trage hohe Pumps, weiß Gott warum. Sie sind lila und zum Schnüren. Lila und Rot, Todeskombination. 
Reamonn nennt mich ein Supergirl. Ganz sicher nicht, wir hatten das schon, dass ich niemanden retten und keine lebenswichtige Aufgabe übernehme. Also halt’s Maul. Ich bin selbst eine Aufgabe, die es zu überleben gilt.
Ich drücke die Stoptaste. Der genervte Blick, der auf der Straße haftet, immerhin, bei diesen Geschwindigkeiten, verwandelt sich in einen Satz: „Dein Musikgeschmack gehört auch zu faulen Kartoffeln.“ 
Ein Insider. Lustig. Aber ohne Lust in mir auszulösen. 
Die Uhr an meinem Handgelenk zeigt mir, wie die Zeit meines Lebens an mir vorbeizieht. 
Und gleichzeitig höre ich mich an, als wäre ich schon fünfzig Jahre lang auf dieser langatmigen, schnelllebigen Welt. 
Ich wollte mal Geschichtenerzählerin werden. Jetzt steckt in jedem Gedanken meiner Figuren ein kleiner Teil meiner Selbst. Ich erzähle nicht die Geschichte von anderen. Ich erzähle meine Erinnerungen aus ihrer Sicht. Ich schaffe etwas Vergleichbares. Ich erschaffe nichts. Ich bilde nach. 
Ich wünschte, ich könnte wirklich etwas bewegen. Dafür müsste ich mich erst einmal selbst bewegen, selbst mich weiterbringen und die Chancen nutzen, wenn Personen mich weiterbringen wollen. Aber Jemand darf mich nicht berühren oder jemand anderes kann mir nicht näherkommen, denn ich bin gerne alleine. Liebe die Stille und hasse sie im selben Moment, weil sie mir die Möglichkeit bietet, mich über mich nachdenken zu lassen. 
Das ist fatal. 
Wenn Handlungen nicht als logische Konsequenz darauf folgen, sondern ausbleiben und ich stehen bleibe. Ich bin eine alte Seele in einem jungen Körper, die jedoch nichts mit ihren zukünftigen Momenten anzufangen weiß. Beziehungsweise sie nicht auskosten wird, denn was soll ich denn auskosten. Das Gleiche immer und immer wieder, nein danke. 
Ich ziehe meine Gedankendecke ein bisschen höher, sie ist jetzt direkt unter meinen Augenringen. Unter ihr verstecke ich meine Gefühle und mich. Ich bin nachts bis vier Uhr wach und morgens bis ein Uhr am schlafen. Und trotzdem müde. 
Ich bin kein Hundefurz. Das habe ich schon früh gelernt. Jungs definieren nicht meinen Wert, denn meiner liegt sehr weit über ihnen, ach, über allen Menschen um mich herum, beziehungsweise höher als sie ihn sehen. Wie weit, sehr weit, sehr gut, ganz gut. Ich bestimme meinen Wert über das Anschauen von Filmen und ich hab schon sehr viele Schnulzen gesehen, auch den, mit dem Hundefurz. Oder den, mit dem Kuss im Geschirrzimmer. Und den Einen, ich hab seinen Namen vergessen, diesen, in dem sie sich in den Bruder ihres Auserwählten verliebt. Bald bin ich selbst eine unglückliche Verliebte, nur weil ich mich so sehr mit diesen Hauptfiguren indentifiziere. Ekelhaft. Wie meine braunen Locken. 
Ich bin unabhängig abhängig von der Meinung anderer. Feministin. 
Noch so ein Trend, der es hoffentlich weiterschafft als bis zur Like-Zahl. Hoffnungsvolle Seelen, die sich ja so entfalten und zeigen, wie sie wirklich sind. Süß. 
Wir fädeln uns links ein und verringern unsere Geschwindigkeit. Die nächste Ausfahrt ist unsere. 
Die Reifen landen auf der Straße, in der richtigen Geschwindigkeit, wir bremsen und fahren um eine Kurve. 
Meine Hand stützt meinen Kopf, der sich schon die ganze Zeit an die kühle Scheibe lehnt. Die Bäume ziehen eine Grimasse. Ich verliere mich in meinen Gedanken. Die Wolken am Himmel verdecken die Sonne. Das Auto fährt. Der Sekundenzeiger tickt. 
Der grüne PKW von links nimmt uns die Vorfahrt, beziehungsweise die Frontscheibe. 
Jemand schreit. Mein Kopf rutscht von der Hand nach vorne und wird von dem Amaturenbrett gestoppt. Etwas Weißes richtet meinen Körper wieder auf. Bremsen lassen unser Auto stehen, aber zu spät. Glassplittertöne. Scherben. 
Ein krelles Dröhnen bringt meine Gedanken zum Schweigen. 
Blut. Auf meiner Jeans. 
Jemand liegt auf der Motorhaube. Jemand bewegt sich nicht. So ein Bild vor meinen Augen ist eigentlich immer hinter einem Bildschirm. Ich hinter einem Schutzschild. Auf der anderen Seite. Nicht so nah. So scharf zu erkennen, jeder Riss. 
So bequem kann die Motorhaube niemals sein. Meine Hände greifen nach den Beinen, die neben mir in der Luft hängen. In einem komischen Winkel. 
Hey, wach auf. Beweg dich mal. Mach mal nicht einen auf mich. Beweg dich. Hallo. Hör mal auf mit dem Scheiß. Komm zu mir zurück. Beweg deinen Hintern. 
Ich blicke von außen auf die Situation und merke nicht, dass ich Teil dieser bin. Ich versuche zu schreien, doch bringe keinen Ton über meine Lippen. Dieses Geräusch in meinen Ohren. Meine Hand schmerzt. Mein Kopf pocht. Ich wäre jetzt bereit für einen Schnaps. Eine ganze Flasche. Und eine Kippe danach. 
An meinen Fingern mit den rot lackierten Nägeln tropft Blut auf den Fahrersitz. Woher kommt dieses Blut? Ich halte meinen Kopf. Befreie meinen Schoß von den Scherben. Öffne den Gurt und gleichzeitig die Tür, gleichzeitig, alles in einem Moment und irgendwie hintereinander, als würden Stunden in diesen Handlungen verstreichen. 
Ich steige aus. 
„Geht es Ihnen gut? Kann ich Ihnen helfen? Oh Gott, bleiben Sie, wo Sie sind, ich rufe den Notarzt, oh Gott.“ 
Jemand liegt auf der Motorhaube und blutet aus seinem Kopf. Jetzt haben es seine Haare mehr nötig, gewaschen zu werden. Sein Blick ist ganz starr, so wie er den blauen Lack fixiert. 
Ich gehe in einem Sicherheitsabstand um das Auto herum. Der Bildschirm, der Bildschirm ist zwischen uns, ganz sicher, gleich kommt eine Blende und es wird in die nächste Szene geschnitten, ins Krankenhaus mit einem attraktiven Arzt und seiner dummen Krankenschwester und dann verliebt sich die Hauptdarstellerin in diesen und ihrem Freund erklärt sie es, und er antwortet, dass es ihm genauso geht, er hat auch schon länger nichts mehr gefühlt und sie bleiben Freunde, und sie geht mit dem Arzt, zwischen der Krankenschwester und ihrem Ex bahnt sich was an, aber das wird erst am Ende klar und dann ist der Film aus. Happy End. 
Ich warte auf die Blende, die mich zur nächsten Szene bringt. 
Ich warte. 
Blinzeln, Augen auf, Augen zu. 
Ich sollte nicht warten. Man weiß nie, was passiert. 
Um mich herum wird alles schwarz und ich knalle auf den Asphalt.



verfasst September 2019

xxx

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