Donnerstag, 4. Februar 2021

Unter dem Atem von Müdigkeit

(Auszüge)

„Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen.“ – Kafka

Nur zerbrochen. Nur zerstört. Nur fehlgeschlagen.
Meine Jalousie lässt so viel Licht durch, dass es mich blendet. Die Jalousie blendet mich? Ich drehe mich auf die linke Seite und starre an die Wand. Putz.
Irgendwann habe ich meine Mädchentapete abgerissen. Ich wollte keine Memme mehr sein, weil Kai Mömmel mir gesagt hat, dass alle Mädchen Memmen seien. Dass er in der Schule nicht wegen seines Nachnamens gemobbt wurde, ist mir bis heute ein Rätsel.
Meine Eltern haben die Resttapete in meinem Zimmer dann weiß gestrichen. Doch als Chiara Truger mich in der Pause ein offenes Loch für Pimmel nannte, schlug meine Hand so sehr gegen die Wand, dass sich die Tapete löste und meine Hand weiter an ihr riss.
 
Jetzt eben Putz. Seit drei Jahren.

Ich werde morgen ausziehen und dieses traurige Zimmer nicht wiedersehen müssen. Meine Mutter wird einen Yoga-Raum daraus machen, mit mediterraner Musik und meterlangen Matten und Möbel mit moosartigen Muff-Überzügen. Die Wände werden in einem modrigen Meerblau erstrahlen. Mäßig schön.
Wie Probleme, die einen neuen Anstrich bekommen. Schöner Lack versteckt bisher noch jeden Makel.

Das Gespräch zwischen meiner Mutter und mir:
„Hast du etwas dagegen, wenn ich dein Zimmer umdekoriere, wenn du nicht mehr hier bist?“
„Ich bin schon lange nicht mehr hier.“
„Du weißt, wie ich das meine.“
„Nein.“
„Nein, du hast nichts dagegen, oder nein, du weißt nicht, wie ich das meine?“
„Macht doch eh keinen Unterschied.“
„Ich nehme das jetzt als ja.“
 
Meine Eltern haben sich über die Jahre auseinandergelebt, sagen sie. Mein Vater braucht einfach nur eine feste Hand, sage ich. Meine Mutter kann viel, aber sich niemals gegen Männer durchsetzen. Das sehe ich an ihren zahlreichen Liebhabern, nur vier habe ich rausgeschmissen, nachdem ich Schläge aus dem Schlafzimmer hörte. Bei anderen drei lag ich falsch, meine Mutter ist anscheinend versauter als Chiaras Trugers Visionen meines Sexlebens.
 
Mein Vater denkt, ich habe Depressionen. Selbst wenn er Recht hätte und sich ernst nehmen würde, könnte er nichts gegen seine Vermutung unternehmen. Er ertränkt seine Intelligenz in Wodka und sein Mitgefühl in Gin. Nach dem versuchten Entzug ist er wieder in seinen Träumen versunken.
Manchmal besuche ich ihn in seiner 1-Zimmer-Wohnung. Und räume die Flaschen in den Glascontainer, der vor dem Wohnungsblock steht.


Mir ist kalt. Ich ziehe mit meinen nackten Füßen die Decke bis zu meinen Händen, von meinen Händen bis zu meinem Kopf. Ich bin müde.  
Und habe Durst.
Die Plastikflasche neben meinem Bett ist leer, doch im Wohnzimmer warten nur Erinnerungen an dich. 
 
Wie du dich auf die Couch setzt und mich auslachst, dass sie so eingeht. Weil der Boden gerissen ist, erkläre ich.
Wie du auf den Platz, auf das Leder, neben dir klopfst, als Einladung, dass ich mich auch setzen soll.
Du bist die erste Person, die in diese Wohnung kommen darf. Die erste Person, mit der ich Spaghetti koche und nicht verkoche.
 
Ich vergrabe meinen Kopf unter der Decke. Wie kann ich meine Gedanken ausschalten?

Wir schauen Fußball, also eigentlich du und ich sitze so nebenbei, weil du das Spiel und die Spieler so magst, ich verstehe kein Wort. Ich schlürfe nur die Nudeln mit Bolognese vor mich hin. Aber ohne Hackfleisch; du bist vegan. Selbstgemachte Tomatensauce, du verwandelst unsere Küche in eine Oase der Köstlichkeit, in der sonst nur Tütensuppen und Tiefkühlpizzen Zuflucht finden. Jedes Mal, wenn du da bist, finden Linsen und Rote Beete den Weg in Kochtöpfe oder ein Brokkoli-Auflauf in den Backofen. Deine Marmeladen sind der Renner bei meiner Mutter und du bist in die Familie aufgenommen. „Familie“.
 
Wir gucken auf unsere Handys und fachsimpeln, welcher Typ der Bessere ist, nur um uns vorzugaukeln, dass wir Typen haben wollen. Ich will nur dich.  
Und dein Blick verrät dich. Oder deine Finger auf meinem Oberschenkel. Auf meiner Schulter, beim Filmesehen.
 
Wenn meine Mutter nach Hause kommt, setzen wir uns gerade hin, wie ertappte Kinder beim heimlichen Schokoriegelessen.
 
Ich starre in die Dunkelheit unter meiner Decke. Ich habe Pläne mit dir. So kleine, vorsichtige, aber Pläne.
Ich habe dir viel zu sagen und muss dabei still sein. Weil ich ja ausziehe und du hier bleibst und irgendwie wir doch die richtigen Sachen machen müssen. Studieren, Ausbildung, Leben regeln.

Ich sage nichts. Weil ich ein fucking Feigling bin.
 
 
 
verfasst August 2020
 
xxx, karina

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