Montag, 29. Juni 2020

Einschlag

Warum verwendest du diese unzähligen Worte, wenn dein Blick doch so viel mehr aussagt? Der wütend, aber gleichzeitig verzweifelt aus deinen Augen quillt?
Aber nein, die Worte sprudeln aus deinem Mund, überschlagen sich und dringen in ihre Ohren, krallen sich fest. Manchen verbietest du den Weg aus deinem Mund, sodass sie den Sinn hinter ihnen nicht vollkommen aufnehmen kann.
Mit starrem Zeigefinger zeichnest du Vorwürfe vor ihr Gesicht und deutest auf Tatsachen, die nicht mit der Situation zusammenhängen. Dann wirbeln wieder beide Hände durch die Luft, sie und damit verbunden auch deine Arme sind unbeholfen. Genau wie deine Worte, die zeitgleich aus deinem Mund fallen.
Plötzlich fällt ihr Name. Du rufst: „Michelle, Michelle!“
Dieser Name ist das Einzige, das präzise von dir formuliert werden kann.
„Michelle, Michelle!“
Du sprichst nicht aus Liebe, Zuneigung, nicht einmal Toleranz. Kein Funken von Empathie ist zu spüren, nur der Hass dringt in ihren Körper, krallt sich in ihre Muskeln und verspannt sie.
„Michelle, Michelle! Hörst du mir überhaupt zu! Du –!“
Sie versucht auf deinem Redefluss zu segeln, eine passende Antwort zu den Wortwellen zu formen, die dich besänftigt. Dazu den Sturm, der sich durch deine Atemzüge zusammenbraut, zu mindern, damit sie nicht von ihren Boot in die Gischt deiner Worte fällt. Lieber ein normales Gespräch führen, ruhig und einigermaßen sachlich.
„Warum sagst du denn nichts!“
Wie sollte sie etwas erwidern, wenn ihr Gehirn noch keine Gedanken formen, dementsprechend ihr Mund noch keine Sätze formulieren konnte und du beiden keine Zeit für diese Tätigkeiten gibst.
Unsicher beißt sie sich auf die Unterlippe und lässt unfreiwillig die plötzlich entstandene Stille zwischen euch wirken. Sie versucht ihre Gedanken zu ordnen. Doch das dauert dir zu lange.

Du stehst auf und schlägst sie. Fest. Ins Gesicht.
Der Ruck, der durch ihren Körper fährt, wird sie ein ganzes Leben lang begleiten. Sie schaut auf den Boden, er müsste mal wieder geputzt werden, auf die Staubpartikel, auf das Muster des Parkettes. Sie sieht das alles und doch sieht sie nichts.
Unbewusst verstärkt sich das Beißen auf die Unterlippe, es verwandelt sich in ein Kauen der ohnehin schon abgestorbenen Haut.
Sie zittert. Der ganze Körper bebt, sie schwitzt und friert zur selben Zeit. Sie sitzt vor dir und versucht sich klein zu machen, sich und ihre Angst so zu verstecken, dass du sie auf dem Stuhl nicht erkennen kannst.
Mit einem lauten "Scheiße" verlässt du den Raum. Du siehst nicht, wie aus ihren Augen Tränen rollen, wie sie über ihr Gesicht laufen und schließlich auf ihre Hose tropfen. Ebenso wenig hörst du das Schluchzen, das den einsamen Moment durchbricht.
Du bemerkst nicht, wie sie auch nach einer halben Stunde nicht aufschaut, obwohl sie gerne die Tulpen erblicken würde, die sie an ihr erstes "Ich liebe dich" an dich erinnern. Genauso wenig kann dir bewusst werden, dass dieses "Ich liebe dich" der Wahrheit entsprach und noch entspricht. Ein Kuss mit einem anderen Menschen ändert ihre Gefühle für dich nicht. Alkohol, Drogen, Ausrutscher.
Doch ihre Erklärung hörst du nicht. Denn du bist weg und sie sitzt alleine da, im Wohnzimmer neben den Blumen.
Sie hätte geredet. Sie wollte ja. Sie hätte auch.
Du kannst nicht leugnen, dass du, nach all den Jahren mit ihr zusammen, nicht weißt, dass sie Zeit braucht, sich zu trauen. Zeit braucht, um ihre Zähne und die Unterlippe voneinander zu trennen, damit sie genau wie du so viele Worte sprechen kann.
Die Worte wären gepurzelt, du hättest sie beim Fallen zwar verdreht und anders verstanden, aber sie wären gepurzelt. Unbeholfen vielleicht, aber du hättest sie immerhin purzeln hören können.
Nun wird nicht einmal dieses unkontrollierte Purzeln funktionieren, zumindest eine Weile nicht. Wahrscheinlich mit anderen Menschen schon, aber sehr wahrscheinlich nicht mit dir.
Bisher jedoch sitzt sie am Tisch, blickt nach unten auf das Muster des Parkettes, auf die Staubfussel, auf den dreckigen Boden, der mal wieder geputzt werden müsste, und sieht das alles und doch nichts.
Aber stimmt, du weißt davon gar nichts, weil du gegangen bist.



verfasst November 2018 im Schreibzimmer des Literaturhauses

xxx, karina

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