Warum verwendest
du diese unzähligen Worte, wenn dein Blick doch so viel mehr aussagt? Der
wütend, aber gleichzeitig verzweifelt aus deinen Augen quillt?
Aber nein, die
Worte sprudeln aus deinem Mund, überschlagen sich und dringen in ihre Ohren,
krallen sich fest. Manchen verbietest du den Weg aus deinem Mund, sodass sie
den Sinn hinter ihnen nicht vollkommen aufnehmen kann.
Mit starrem
Zeigefinger zeichnest du Vorwürfe vor ihr Gesicht und deutest auf Tatsachen,
die nicht mit der Situation zusammenhängen. Dann wirbeln wieder beide Hände
durch die Luft, sie und damit verbunden auch deine Arme sind unbeholfen. Genau
wie deine Worte, die zeitgleich aus deinem Mund fallen.
Plötzlich fällt
ihr Name. Du rufst: „Michelle, Michelle!“
Dieser Name ist
das Einzige, das präzise von dir formuliert werden kann.
„Michelle,
Michelle!“
Du sprichst
nicht aus Liebe, Zuneigung, nicht einmal Toleranz. Kein Funken von Empathie ist
zu spüren, nur der Hass dringt in ihren Körper, krallt sich in ihre Muskeln und
verspannt sie.
„Michelle,
Michelle! Hörst du mir überhaupt zu! Du –!“
Sie versucht auf
deinem Redefluss zu segeln, eine passende Antwort zu den Wortwellen zu formen,
die dich besänftigt. Dazu den Sturm, der sich durch deine Atemzüge
zusammenbraut, zu mindern, damit sie nicht von ihren Boot in die Gischt deiner
Worte fällt. Lieber ein normales Gespräch führen, ruhig und einigermaßen
sachlich.
„Warum sagst du
denn nichts!“
Wie sollte sie
etwas erwidern, wenn ihr Gehirn noch keine Gedanken formen, dementsprechend ihr
Mund noch keine Sätze formulieren konnte und du beiden keine Zeit für diese
Tätigkeiten gibst.
Unsicher beißt
sie sich auf die Unterlippe und lässt unfreiwillig die plötzlich entstandene
Stille zwischen euch wirken. Sie versucht ihre Gedanken zu ordnen. Doch das
dauert dir zu lange.
Du stehst auf
und schlägst sie. Fest. Ins Gesicht.
Der Ruck, der
durch ihren Körper fährt, wird sie ein ganzes Leben lang begleiten. Sie schaut
auf den Boden, er müsste mal wieder geputzt werden, auf die Staubpartikel, auf
das Muster des Parkettes. Sie sieht das alles und doch sieht sie nichts.
Unbewusst
verstärkt sich das Beißen auf die Unterlippe, es verwandelt sich in ein Kauen
der ohnehin schon abgestorbenen Haut.
Sie zittert. Der
ganze Körper bebt, sie schwitzt und friert zur selben Zeit. Sie sitzt vor dir
und versucht sich klein zu machen, sich und ihre Angst so zu verstecken, dass
du sie auf dem Stuhl nicht erkennen kannst.
Mit einem lauten
"Scheiße" verlässt du den Raum. Du siehst nicht, wie aus ihren Augen
Tränen rollen, wie sie über ihr Gesicht laufen und schließlich auf ihre Hose
tropfen. Ebenso wenig hörst du das Schluchzen, das den einsamen Moment
durchbricht.
Du bemerkst
nicht, wie sie auch nach einer halben Stunde nicht aufschaut, obwohl sie gerne
die Tulpen erblicken würde, die sie an ihr erstes "Ich liebe dich" an
dich erinnern. Genauso wenig kann dir bewusst werden, dass dieses "Ich
liebe dich" der Wahrheit entsprach und noch entspricht. Ein Kuss mit einem
anderen Menschen ändert ihre Gefühle für dich nicht. Alkohol, Drogen,
Ausrutscher.
Doch ihre
Erklärung hörst du nicht. Denn du bist weg und sie sitzt alleine da, im
Wohnzimmer neben den Blumen.
Sie hätte
geredet. Sie wollte ja. Sie hätte auch.
Du kannst nicht
leugnen, dass du, nach all den Jahren mit ihr zusammen, nicht weißt, dass sie
Zeit braucht, sich zu trauen. Zeit braucht, um ihre Zähne und die Unterlippe
voneinander zu trennen, damit sie genau wie du so viele Worte sprechen kann.
Die Worte wären
gepurzelt, du hättest sie beim Fallen zwar verdreht und anders verstanden, aber
sie wären gepurzelt. Unbeholfen vielleicht, aber du hättest sie immerhin
purzeln hören können.
Nun wird nicht einmal dieses unkontrollierte Purzeln funktionieren, zumindest eine Weile nicht. Wahrscheinlich mit anderen Menschen schon, aber sehr wahrscheinlich nicht mit dir.
Nun wird nicht einmal dieses unkontrollierte Purzeln funktionieren, zumindest eine Weile nicht. Wahrscheinlich mit anderen Menschen schon, aber sehr wahrscheinlich nicht mit dir.
Bisher jedoch sitzt
sie am Tisch, blickt nach unten auf das Muster des Parkettes, auf die
Staubfussel, auf den dreckigen Boden, der mal wieder geputzt werden müsste, und
sieht das alles und doch nichts.
Aber stimmt, du
weißt davon gar nichts, weil du gegangen bist.
verfasst November 2018 im Schreibzimmer des Literaturhauses
xxx, karina
Der Text berührt - ich mag ihn.
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