Freitag, 17. September 2021

Das breite Lächeln

*triggerwarnung: sexualisierte gewalt*
 
„Weiß er denn nicht, dass er nicht gut für mich ist?“
Kopfschüttelnd nimmt sie einen Schluck ihres Cappuccinos. Ein Herz ist auf die Oberfläche gestreut.
„Hallo? Hörst du mir überhaupt zu?“
Sie schnippt mit zwei Fingern vor meinem Gesicht herum. Ich schrecke zusammen. „Ja, ehm, warum sollte er denn nicht gut für dich sein?“
Den ganzen Tag reden wir über diesen einen Typen, John oder Jack ist sein Name. Ihr Leben interessiert mich ja schon, aber nicht einen ganzen Tag lang.
Wie geht es mir? Mein Löffel kreist in meinem Kaffee herum und hinterlässt kleine Schlieren. Das Café ist niedlich eingerichtet.
„... und dann hat er mich angefasst, also so nebenbei, so von wegen, ich mag dich, und...“
 
Seine Hand auf meiner Haut. Mein Träger rutscht von meiner Schulter, während er mich hochhebt. Sein Lachen ist gedämpft, etwas liegt zwischen meinen Ohren und seiner Stimme. Eine Tür wird geöffnet und wir verschwinden in Dunkelheit. Mein Top wird ausgezogen und mein BH geöffnet.
Es läuft was schief. Ich versuche mich aufzusetzen, doch Hände drücken mich wieder runter, dann legt sich ein Körper auf meinen. Ich sage etwas, mir wird der Mund zugehalten. Ich schüttle meinen Kopf, spüre, wie Tränen an meiner Wange herunterlaufen.
Meine Augen öffnen sich und ich erkenne kleine Sterne an der Decke, diese, die in der Nacht leuchten und sich am Tag wieder aufladen. Mein Rock, wo ist mein Rock. Meine Hände tasten meinen Körper ab und fühlen Haut. Ich trage nicht einmal einen Slip, ich liege da, ist das ein Teppich, ist das ein Bett oder doch nur eine Decke, ich versuche, mich zu bewegen und stoße mir meinen Fuß. Ich stehe langsam auf und fühle einen Schrank und einen Schrankknopf.
 
„Hey, du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“
 
Diese Türknäufe kenne ich, diese Form, die ich jeden Morgen öffne. Ich finde den Lichtschalter. Die Sterne verblassen, die Deckenleuchte zeigt mit dem Finger auf mich, auf meine Kleidung, die verstreut auf dem Boden liegt, auf und neben dem Fransenteppich, und auf die Barbiepuppe meiner kleinen Schwester. Der Wandspiegel im pinken Rahmen zeigt meinen nackten Körper. Übersäht mit Fingerabdrücken. Meine Handgelenke tragen rote Striemen. Wimperntusche verschmiert, ein ängstlicher Blick starrt mir entgegen. Der Lippenstift umrahmt meinen Mund, ist kaum auf den Lippen.
 
„Hey!“
Ich schrecke zusammen. Das Spiegelbild verwandelt sich in den verwirrten Blick von Marie. Sie sitzt mir gegenüber.
„Was ist denn los mir dir?“
Ich schüttle den Kopf und rühre wieder in dem Kaffee herum. „Was hat er denn noch zu dir gesagt?“
„Also, dass er mich halt liebt und so, aber wer kann ihm das denn glauben, er arbeitet in dieser neuen Fastfoodkette und da wird bestimmt nicht mit Liebe gekocht, kleiner Scherz, aber ne, mal ganz ehrlich, wir sind so unterschiedlich...“
 
Meine Hand auf dem Geländer, ich gehe die Treppen nach unten. Die Musik im Wohnzimmer ist auf höchster Lautstärke, Chipstüten liegen auf dem Boden und halbvolle Becher stehen auf den Tischen. Jemand ruft mich. Ich spüre keinen Alkohol mehr, als er meinen Blick fängt und mich anlächelt. Er stößt mit seinem Becher in meine Richtung, irgendjemanden in seinem Arm. Ich umarme meinen Körper und drehe mich weg. Ziehe meinen Rock ein wenig tiefer.
Ich hätte zu ihm gehen sollen. Ihn anschreien, rauswerfen und allen von uns erzählen, von ihm, was er getan hat, was wirklich war, als er sagte, dass er mich schnell hochbringt, nicht, dass ich noch das weiche Sofaleder vollkotze und meine Eltern wütend auf mich sind.
Mein ehemaliges Zuhause. In Katies Zimmer gehe ich nicht mehr, ich lege ihr nicht mehr ihr Outfit jeden Morgen zusammen, weil sie auf mich vertraut, unsere Tradition, ich kann ihren Raum nicht betreten, ohne mich zu übergeben.
 
„Aber was erzähl ich die ganze Zeit, jetzt bin gespannt, was du zu berichten hast, wie war dein Geburtstag, wirklich schade, dass ich nicht kommen konnte.“
Mit großen Augen nippt sie an ihrem Cappuccino und blickt mich erwartungsvoll an.
Ich hebe meinen Kopf und ziehe meine Mundwinkel nach oben. „Mir geht es gut und die Party war wirklich gut, ich glaube, es haben sich alle bestens amüsiert.“
 
 
 
verfasst 10.08.2020
 
xxx, karina

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