Mittwoch, 6. Juli 2022

Aus der Traum (Was passiert, wenn ich Selbstmord begehe)

Vielleicht nimmt ein Anderer meinen Platz ein, eine bessere Version des Arbeiters in mir. Aber ich bin unersetzbar, grundlegend in meiner Art unersetzbar, grundlegend zu sein. Tatsache ist, dass es diese bessere Version von mir nicht geben kann.
Ihr sagt, für immer. Mit für immer sprecht ihr von einer langen Zeit. Mit für immer von euch verdammt zu sein, spreche ich von einer noch längeren Zeit.
Irgendwann kann aber auch der beste Arbeiter nicht mehr. Ist ausgelaugt, ausgesaugt, ausgewählt außer Betrieb genommen zu werden. Aus der Traum.
Deswegen ist Unersetzbarkeit eine Strafe. Die Grundsätzlichkeit eine Qual. Ohne gefragt zu werden, wurde ich von euch dazu auserkoren, gebraucht zu werden, nicht gehen zu dürfen. Aus Bestimmung folgt Zwang.
Euer Zwang zwingt mich weiterzumachen, aber euer Fehler bleibt: Die Arbeitszeit ist einteilbar, die Freiheit zwischen Aufgaben zu schieben, steht mir frei. Zu bestimmen, wann ich denke und wann ich handle.
Ich liege dort. Stehe da. Sitze entfernt.
Beobachte, begleite euch von der anderen Seite des Raumes, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus.

Was passiert, wenn ich Selbstmord begehe?

Einfach „Nein“ sage, beende, aufhöre. In einem kleinen Kind mit Zöpfen, einem rosa Shirt und einer geblümte Hose mit dem Fuß aufstampfe, die Arme verschränke und anfange, Tränen an meinem Gesicht entlang fließen zu lassen. Vom Klettergerüst fallen lasse und nicht mehr aufstehe.
Oder als starker Mann mit engelsgleichen Locken, die als Beweis der Männlichkeit immer abrasiert sein müssen, Stühle, Teller, Gabel, Messer um mich werfe, brülle. Einen Schritt zu viel mache, stolpere und im Wahn mir voller Absicht das Genick breche.
Ruhelos mich zu entfernen, funktioniert nicht und das macht mich ruhelos. Aus Ruhe folgt Ruhelosigkeit. Aber mal ehrlich, Ehrlichkeit ist meine Stärke, ehrlich. Euch heimlich zu verlassen, im Kleinen, Stillen zu gehen, ist nicht meine Art.

Erstens ich, weil ich einen prunkvollen, angemessenen, meiner Taten, meines Wesens würdigen Abgang benötige.
Zweitens ihr, weil die Not des unersetzbaren, grundlegenden Ichs in eurem Leben mit mir beendet ist und ihr das nicht begreifen könnt.
Drittens ihr und ich, weil diese Beziehung nicht endet, ohne dass ihr das Ende bemerkt. Mit Heimlichkeit komme ich da nicht weit.
Also schrei ich ein lautes „Nein“ aus dem Kind, dem Mann, euch, aus allen Personen in die Welt hinein. Normalerweise folgen Worten Taten.

Was passiert, wenn ich Selbstmord begehe?

Gift einnehmen, mich aufhängen, zerstückeln, verenden, sterben. In meiner Wirklichkeit funktioniert es. In meiner Wirklichkeit bin ich jetzt, morgen und in einer Woche, einem Jahr, im nächsten Leben weg.
In eurer Realität nicht. Und solange sich daran nichts ändert, muss ich bleiben. Euch beobachten, begleiten, euer Leben beeinflussen. Für immer. Aus euren Träumen ist mein Traum aus.
In dieser langen Zeit, die mir also noch bleibt, behalte ich mir diesen Moment der Frage, der Möglichkeiten. Was passieren wird, wenn der Tod Selbstmord begeht.




verfasst Dezember 2018

xxx, rina

2 Kommentare:

  1. Wow das hat mich unglaublich tief berührt… Es hat sich so angefühlt, als hätten meine Gefühle endlich eine Sprache erlangt, damit ich sie selbst besser verstehen kann!
    Vielen Dank für die tolle Erfahrung, die du mir geschenk hast! ☺️

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    1. vielen dank dir, dass du das teilst! das freut mich sehr :)

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