Montag, 9. Mai 2022

Fiebertraum, während ich schmunzle

mit 12 Jahren geschrieben, kaum etwas geändert, aber stark gekürzt

 


Als das Licht ausgeht.

Es passiert.

Schon wieder.

„Bitte“, sagt das Wesen. „Bitte hilf mir!“

Woher kommt die Stimme?

 

In letzter Zeit höre, sehe und schmecke ich Dinge. Meisten schmecken sie nach Hustenmedizin mit Kokosmilchextrakt, Tiefkühlgemüselasagne und verschimmelten Apfelsaft. Ab und zu ist ein kurzer Nachgeschmack von Malen-Nach-Zahlen-Farben oder Holzspänen zu spüren. Kurz um: Es schmeckt wie eine überdosiertes, nach einem Rezept gebräutem und mit deinem fiesen Grinsen verkauftem Gift. Noch nie gesehen, noch nie berührt. Nur geschmeckt und immer noch am Leben.


Aber das Sehen ist schlimmer.

Wenn abends das Licht gelöscht wird und ich friedlich nichts ahnend in meinem Bett liege, sehe ich sie. Große, von meiner Zimmerdecke bis zum Boden reichende Streifen im gleichen Abstand zueinander und in Weiß. Je nachdem wie hell die Notbeleuchtung ist, auch Silber bis grau. An sich nichts schlimmes, wenn nicht dahinter die Gestalten säßen. Mit riesigen Fratzen und abgefallenen Gliedmaßen starren sie mich an. Sie sprechen auch was, aber ich verstehe sie so gut wie nie. Keineswegs sind sie Monster oder Dämonen oder Geister. Ich sehe auch keine Gespenster. Nein. Es ist etwas anderes: Mein Verstand.

Und von meinem ziemlich guten Gehör unterstützt, erlaubt sich mein Verstand, mich zu quälen. Mit Folter der schlimmsten Art. Manchmal höre ich ein kleines Mädchen weinen, finde sie aber nicht, da meine Augen fest zugedrückt werden. Oder ich höre Schreie, wenn jemand sich wehtut oder einen schlimmen Schmerz durchstößt. Ich will diesen vielen Menschen unbedingt helfen.

Ich will wirklich. Kann aber nicht. Soll nicht. Darf nicht.

 

Mein ganzes Leben lang höre ich auf meinen Verstand. Mein Bauchgefühl wird immer mehr in die Ecke gedrängt. In die hinterletzte Ecke meines Körpers. Halb schreiend, halb weinend, eingeschlossen und zurückgelassen. Heute höre ich nur noch auf mein Bauchgefühl, wenn ich Hunger habe.

Mein Verstand sagt mir alles, was ich zu tun hab. Wenn mein Herz schreit, fängt er es ein, foltert es bis es nur noch winselt. So kann ich es überhören. So muss ich es überhören, sagt er. Gefühle sind was für Weicheier und die Liebe steht da an erster Stelle. Heute wird alles mit Köpfchen geregelt.

 

Wut, Hass, Weinen. Weinen im Inneren, denn ich spüre keine Träne auf meiner Haut. Mein Verstand beschützt mich davor, sonst würden die gut vernähten Narben aufreißen. Ich hüte mich davor, sie zu berühren, denn ich weiß nicht, wie ich darauf reagiere. Ich will es auch gar nicht wissen.

 

Und so lebe ich. Am Tag tue ich Sachen, wie mein Verstand es will und in der Nacht teile ich mit ihm unser Geheimnis. Es ist nicht gruselig oder scheußlich, nein, es ist nur alltäglich und unveränderbar.

Einmal spreche ich ihn darauf an. Seine Worte: „Es ist nicht alltäglich, du siehst einfach die kleinen Unterschiede von Tag zu Tag nicht.“

Also achte ich jetzt mehr auf mein Umfeld. Jedes kleine Staubkörnchen, welches sich bewegt, fotografiere ich, um einen Unterschied festzustellen. Gleich wird es dunkel und jetzt habe ich schon einen säuerlichen Geschmack auf der Zunge. Es beginnt.




verfasst 2012

xxx, karina

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